Venezuela: Wir haben gesiegt. Und jetzt wie weiter?

Mittwoch, 23. Mai 2018


(zas, 23.5.18) Viel wäre zu sagen zum Strom der Desinformation, den die Medien der „Eliten“ zu Venezuela verbreiten. Die Wahlbeteiligung von 46 % der Wahlberechtigten ist ihnen Grund, die Legitimität des chavistischen Siegs zu leugnen. Die gleiche Wahlbeteiligung in Chile, Kolumbien, Argentinien, Europa (et encore!) ist ihnen Anlass, das Fest der Demokratie zu feiern. Unsere Seite hat andere Gründe zur Reflexion der Zahlen. Dieser Wahlsieg ist nicht in Stein gemeisselt, und dies nicht nur wegen der von Washington und assortierter Clique prompt verschärften Sanktionen. Als letzten August die Verfassungsgebende Versammlung (ANC) von mehr als 8 Millionen gewählt wurde, machte sich eine grosse Hoffnung breit: Jetzt reden die barrios, die Belegschaften, die Unterklassen. Jetzt gibt es Positionen zu den Alltagsproblemen. Doch diese Aufbruchsstimmung ist erlahmt, nicht nur wegen des Wirtschaftskriegs des Imperiums. Wenn die meisten Stimmen der ANC, die Gehör finden, jene alter Kader mit einer langen Reihe von Führungspositionen sind, kommen eben die „kommunen“ Leute weniger zu Wort. Dass es jetzt trotzdem zu einem solch klaren Wahlsieg gekommen ist – das US-geleitete Boykottlager erwies sich als zahlenmässig bescheiden, seine Wahlbeteiligung hätte den chavistischen Sieg kaum verhindert – verdankt sich einem hohen politischen Wissen in den Unterklassen. Das ist kein Gegenstand, den irgendeine Führung besitzen kann. Eher eine Gunst, die nicht verspielt werden darf.
Die Coordinadora Revolucionaria Bolívar y Zamora (CRBZ) gehört zu den aktivsten und kämpferischsten Basisorganisationen des Chavismus. Wir sollten lernen, auf solche Stimmen zu hören, ein Antidot zur dümmlich-rasenden Hetze im Mainstream.
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Wir haben gesiegt. Und jetzt wie weiter?
Coordinadora Nacional de Corriente Revolucionaria Bolívar y Zamora
Wir haben gesiegt. Dieses Wort müssen wir als erstes schreiben. Das unter den Bedingungen zu schaffen, die wir haben, zeigt uns die Dimension dieser enormen Leistung. Wir haben gegen Kandidaten der Opposition gekämpft, die wir klar besiegten, und gegen jene, die, unterstützt von den USA und ihren Partnern, eine Kampagne für die Stimmabstinenz machten. Die Bedingungen des Wettstreits, des vierten in weniger als einem Jahr, waren schwierig, nicht nur politisch, sondern auch materiell. Unser Volk zeigte historische Grösse und wir haben wieder gesiegt.

Die Differenz zwischen unserem Kandidaten Nicolás Maduro und dem zweitplatzierten Henry Falcón (mehr als vier Millionen Stimmen) und dem Dritten, Javier Bertucci, zeigt unsere Kraft, unsere soziale Basis, unsere unabdingbare Einheit. Die Opposition wurde an den Urnen besiegt. Falcón hat schon angekündigt, dass er das Resultat nicht akzeptiere. Er übernimmt damit den Betrugsdiskurs der Wahlboykotteure, wonach das alles nur mit Gewalt lösbar sei. Er mästet so die Botschaft, die schon vor dem Wahlgang geschrieben wurde: Betrug, gefolgt von weiteren internationalen Wirtschafts- und diplomatischen Sanktionen.
Eine andere Analyse gilt es für die Stimmbeteiligung zu machen. Im internationalen Massstab entsprechen die Zahlen dem Standard unseres Kontinents oder Europas. Mit venezolanischem Mass gemessen, müssen wir von viel geringeren Zahlen als jenen der letzten Präsidentschaftswahlen sprechen; sie sind einigermassen stabil in Bezug zu den letzten Gouverneurs- und Gemeindewahlen. Dies lässt sich mit zweierlei Gründen erklären. Da ist erstens der Effekt der Boykottkampagne der nationalen und internationalen Rechten. Und zweitens gibt es die Auswirkungen der wirtschaftlichen Abnutzung, die Lebensbedingungen unserer Leute und ein politisches Unbehagen wegen der Art und Weise, wie ein grosser Sektor der formellen Führung Politik macht. Es gab Quartiere, Bauern und Bäuerinnen, Chavismus, die nicht wählten, die nicht weg gegangen sind, die den Glauben verloren haben, die im täglichen Überlebenskampf aufgerieben werden.
Dies zeigt uns, dass es eine zentrale Herausforderung gibt: die verlorenen Stimmen zurückzuholen, die mehr als blosse Stimmen Unterstützung, Mehrheit, Hegemonie sind. Dies setzt die Rückkehr zu der Chávez-Art von Politik voraus und eine sofortige Antwort auf die schweren wirtschaftlichen Probleme. Daher halten wir es für unabdingbar, einen Nationalen Notfallplan mit durchschlagenden, nicht-konventionellen, revolutionären Aktionen in Gang zu setzen.
Wir denken, es gilt, die ganze Macht und die ganze Kapazität des Landes auf vier prioritäre Themen zu konzentrieren, mit kurz-, mittel- und langfristigen Zielen. Dies muss mit maximaler Transparenz erfolgen: Die Prozesse und Mechanismen, die nötig sind, um Debatten, Diagnosen, Studien, Analyse und Massnahmen einzuleiten und Ressourcen einzusetzen, müssen in aller Offenheit angegangen werden. Die ethische Dimension des öffentlichen Dienstes muss ein zentraler Inhalt dieser Kampfplattform sein, genauso wie die protagonistische Partizipation des organisierten Volkes im ganzen Prozess.
Wir schlagen folgende nationalen Prioritäten vor:
1.      Die Produktion von Nahrungsmitteln mit Priorität auf den Grundnahrungsmitteln auf der Basis der Ernährungsbedürfnisse des Landes.  Wir schlagen vor, den Prozess der Landneuordnung wiederaufzunehmen, als Teil der Voraussetzungen für eine nationale Agrarproduktion. Das bedingt Kohärenz mit einem revolutionären Prinzip, das weitgehend das Agrarerbe von Comandante Chávez enthält: Das Land denen, die es bebauen! Ebenso braucht es einen Finanzierungsplan für alle produktiven Sektoren, insbesondere den agrarischen. Deshalb müssen den Privatbanken Zügel angelegt werden. Sie verwalten weitgehend unkontrolliert den nationalen Kredit, das Ergebnis der Ersparnis aller VenezolanerInnen, der primär in die Agroindustrie und andere Sektoren geht. Ein entscheidender Aspekt ist die umfassende und transparente Analyse der öffentlichen Unternehmen im Agrarbereich und die Ersetzung jener, die unproduktive Unternehmen geleitet haben.
2.      Das Gleiche gilt für das nationale Stromwerk und die Bereiche Telefonie und Internet. Die verantwortlichen Equipen müssen einer strengen und transparenten Evaluierung unterzogen werden, mit Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter. Mit Kriterien der Sparsamkeit und besten Ressourcennutzung, mit Mitbestimmung und Mitverantwortung des organisierten Volks, muss ein Investitionsplan für die technologische Produktion und Erneuerung der Plattformen erarbeitet werden. Gleichzeitig muss die Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen in diesen Bereichen geplant werden.
3.      Plan einer Erholung und Besserung des öffentlichen Gesundheitssystems, mit Fokus auf die zentralen Spitäler und jene der Gemeindehauptorte. Dies schliesst die Wiederinstandsetzung der Infrastruktur mit ein, insbesondere in zentralen Bereichen Notfallstationen, Operationssäle, Medikamentenvorrat, Krankentransporte, chirurgisches Material und eine deutliche Lohnerholung für das Personal und die nicht-medizinischen ArbeiterInnen.
4.      Erholung und Stärkung des öffentlichen Erziehungswesens mittels eines Plans für die Verbesserung der Infrastruktur und eine Politik des Schutzes der ErzieherInnen, um so Abgänge und Migration zu vermeiden. Dies schliesst die Wiederaufarbeitung und Ausweitung der verschiedenen Pläne für Schulessen mit ein.
Dieser Nationale Notfallplan muss das Resultat einer breiten nationalen Debatte sein, an der alle für die nationale Entwicklung engagierten Kräfte, unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung, beteiligt sind. Es muss sich um einen Feldzug des Volks und der Regierung für das Land handeln. Wir brauchen eine realistische Vision, um die Wirtschaftskrise, die die Volkssektoren und die untere Mittelschicht trifft, wirksam zu bekämpfen.
Wir kennen die finanziellen Schwierigkeiten des Staates, aber wir wissen auch um die enormen Ressourcen, die vergeudet werden, aus Gründen der Ineffizienz, des Planungsmangels, des Fehlens eines Kriteriums der Sparsamkeit und der Ausgabenpriorisierung. Dies, ohne das hohe Korruptionsniveau im öffentlichen Sektor weiter zu erörtern. Ein Plan mit solchen Charakteristika muss die Privilegien eines guten Teils der bürokratischen und Klasse abschaffen, die die Regierung und die Partei PSUV leitet. Sie hat sich in eine von den schweren Problemen und Leiden der Mehrheit des venezolanischen Volks abgehobene Elite gewandelt.
Wir machen diese Vorschläge aus einer Position revolutionären Realismus im Moment eines Wahlsiegs unter den Bedingungen einer schweren wirtschaftlichen Lage, die dringend nach einer Lösung verlangt. Wir haben schon den dafür nötigen Sieg erreicht, der Rest kann nicht mehr warten: Wir müssen die Dinge berichtigen und vertiefen. Wir stehen dem Imperialismus und seinen Alliierten, den Oligopolen, der Oligarchie gegenüber, und wir, der Chavismus, müssen uns ihnen entgegenstellen, indem wir jenen Antworten geben, die sie brauchen. Das sagen die Stadtteile, die Leute auf dem Land, die Leute der Küsten, die Stimmen dieser Millionen kommuner Männer und Frauen, die wir das Volk sind.