Honduras: Putsch 2.0

Sonntag, 3. Dezember 2017



(zas, 2.12.17) Die Ereignisse überstürzen sich. Gegen die massiven Proteste wegen des offensichtlichen Wahlbetrugs hat das Regime von Diktator Juan Orlando Hernández (JOH) für die nächsten zehn  Tage eine Ausgangssperre von 6 Uhr p.m. bis 6 Uhr a.m. verhängt. Schon vorher hatten die manchmal gegen DemonstrantInnen sofort Schusswaffen einsetzenden Repressionskräfte drei Protestierende erschossen und andere verletzt und verhaftet. Die Armee wird zudem mit der Bekämpfung von Demonstrationen beauftragt.
Tegucigalpa in der Nacht auf Samstag. Quelle: El Libertador.
 Als Vorwand für die Verhängung des Ausnahmezustands benutzte das Regime Plünderungen und andere Gewaltakte während der Proteste. Doch der mutmasslich gewählte, aber nicht anerkannte Präsident Salvador Nasralla von der «Oppositionsallianz gegen die Diktatur» veröffentlichte auf seiner Facebookseite ein Foto von Vermummten, die sich mit Sicherheitskräften unterhalten. 
Man versteht sich.
 Um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen, von Taktiken der Deeskalation halten die Repressionskräfte in Honduras rein gar nicht. Auf diesem Video sehen wir, wie sie Menschen traktieren. Was die Plünderungen etc. betrifft, betonen die Allianz-Leute, dass auffallenderweise dabei fast nie Polizei in der Nähe auftauche.  In einem Fall allerdings war nicht nur das TV, sondern auch die Polizei vor Ort. Offenbar zu sehr Polizist und nicht à jour über die richtige Sprachregelung, betonte der Einsatzsprecher, die Verhafteten seien normale Kriminelle und hätten die Demo ein paar Blöcke weiter bloss für ihre Zwecke ausgenutzt (s. Video).
Ohnehin: Unter dem Vorwand von ein paar unblutigen, von den Regimemedien natürlich krass überrissen gezeichneten Plünderungen oder ähnlichem eine massive Ausgangsperre zu verhängen, während offiziell noch Wahlakten gezählt werden, ist klar eine weitere Putschaktion.
Wir erahnen vielleicht, was sich jetzt in Honduras tut, wenn wir auf Nasrallas Facebook-Seite den folgenden Aufschrei eines gequälten Menschen lesen: «Jetzt interessieren weder DIE AKTEN noch die DIE STIMMEN in diesem Moment jagen und töten sie wie Tiere, als ob wir in einer VERDAMMTEN NETFLIX-SERIE wären und es reicht, dass die OAS und auch die Menschenrechtsgruppen sich an JOH verkauften um Gottes Willen es sind Menschen nicht Tiere.»

Wir wissen jetzt auch definitiv, warum das Regime dieser Tage derart viele Armeeeinheiten in der Hauptstadt zusammenzog (s. Video im letzten Post). Tatsächlich kam es in den letzten Tagen in grossen Teil des Landes zu einem breiten Widerstand auf der Strasse. In Tegucigalpa, aber auch an vielen anderen Orten wurden zentrale Verkehrsachsen besetzt. Auch an kleineren Orten wie dem Städtchen Copán, bekannt für seine Maya-Ruinen, waren die Leute die ganze Nacht auf der Strasse, um gegen den Wahlbetrug zu protestieren (s. zu Copán dieses Video). 

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Den Betrug macht die Allianz an zahlreichen Momenten fest – viele der vom TSE veröffentlichten Urnenresultate widersprechen den Akten im Besitz der Parteien, in diesem Fall namentlich der Allianz und des Partido Liberal, dessen Angaben mit jenen der Allianz übereinstimmen. Oder aber auf der Homepage des TSE werden die Resultate unter Einbezug von neu erfassten Wahlurnen veröffentlicht, doch die Allianz hat jetzt eine Stimme weniger, während der amtierende Präsident massiv zugegt.
Am Montag, dem 27. November 2017, um 1h40 a.m., veröffentlichte das TSE unter der Führung von David Barahonas, einem Befürworter des Putsches von 2009, die Resultate von 57 % der Wahlakten. Der gleiche Barahona hatte bei den Wahlen 2013 in dieser Zeitspanne fünf Mal Zwischenresultate veröffentlichte und aufgrund der Teilresultate bei massiv weniger ausgezählten Akten den Sieg des damaligen Kandidaten JOH schon als irreversibel bezeichnet. Bis an diesem Montag früh hatte Nasralla konstant einen Vorsprung von 5 % auf JOH. (Das TSE hatte die Resultate nur unter Druck der westlichen Botschaften und der BeobachterInnenmissionen der OAS und der EU veröffentlicht. Ein JOH-Wahlsieg schien aufgrund der Machtkonzentration, der Wahlgeschenke , der medialen Dauerpropaganda etc. als sicher. Das erklärt das «Basteln» bei der folgenden Resultateberichtigung.) Doch dann fiel das Rechenzentrum aus, angeblich wegen übersättigtet Harddisks. Diese wurden nach TSE-Angaben entfernt und durch neue ersetzt, die im Gegensatz zu den alten nicht von TechnikerInnen der Opposition auf Sicherheitsstandards mit geprüft worden waren.  Als das System nach 36 Stunden wieder hochgefahren war, machte JOH in rasantem Tempo Terrain gut. Jetzt, beim offiziellen Stand von 94 % aller Akten liegt er mit über einem Prozent vorn. Nur: Die bis Montag früh ausgewerteten 57 % der Akten waren alle aus den Wahllokalen direkt ins Rechenzentrum übermittelt worden, mit offenbar relativ ausgebauten Sicherheitsstandards. Obwohl das TSE angekündigt hatte, dass die Resultate von 85 % aller Wahlurnen elektronisch übermittelt würden, hiess es in der Nacht auf Montag jedoch, es seien keine elektronischen Akten mehr verfügbar und man müsse jetzt auf den Antransport der physischen Unterlagen warten. Diese wurden im staatlichen Gebäude Infob deponiert, zu dem die Allianz keinen Zutritt hatte. Und hier begann die Diskrepanz mit den elektronisch übermittelten Akten der Wahltische.
Für die unter diesen Bedingungen eingeführten 5174 Wahlakte verlangt die Allianz eine Nachzählung unter Beteiligung der Parteien, eine Forderung, auf die das TSE nicht eintrat. Es «konzedierte» im Gegenzug die Beteiligung der Parteien an der Auszählung von etwas über 1000 Akten, die angeblich wegen Unstimmigkeiten (rechnerisch unmögliche Resultate, fehlende Unterschriften u. ä.) nachgezählt werden müssen. Sie ergeben offenbar fast durchwegs klare Mehrheiten für Nasralla. Diese Akten sind auf der TSE-Seite einsehbar. Das Problem für die Allianz besteht darin, dass die Parteien hier zwar zugegen sein dürfen, aber ohne mitzuentscheiden, Und dass auch dabei nicht die elektronisch an die Parteien übermittelten Akten beigezogen werden dürfen. Eine Teilnahme würde somit faktisch das unkontrollierte Vorgehen des TSE und dessen Weigerung, Eingabe von unkontrollierten Akten seit Montag überprüfen zu lassen, gutheissen
Eine weitere Forderung der Allianz, für die das Regime via TSE ebenfalls null Gehör hat, betrifft die Überprüfung der Resultate der Departemente von Lempira, La Paz und Intibucá. Es ist hier, in denen JOH vorallem zugelegt hat. Die Menschen dort scheinen anders zu ticken als im Rest des Lands. Während die Wahlbeteiligung in den anderen Departementen zwischen 50 % und 55 % lag, betrug sie für die drei genannten Departemente 75, 70 und 72 %. (Das Wahlregister ist mit Toten und Ausgewanderten, oft Sans-Papiers, völlig aufgeblasen.)
Es gäbe noch viele Details. Interessierten seien die Nasralle-Seite und das Interview im Nasralla-nahen Sender Unetv mit dem Wahlleiter der Allianz, Óscar Rivera, von letztem Freitag empfohlen.
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Zynismus: La Prensa ist ein Regimemedium. Es brachte heute früh (Ortszeit) einen Bericht, wie ruhig dank der Ausgangssperre die Menschen die Nacht verbracht hätten, ungestört von «Horden der Allianz». Auf einer anderen Ebene widmen sich auch die offiziellen BeobachterInnenmissionen der OAS und der EU diesem Verhalten. Und zwar mit Schweigen zum Wahlbetrug, dafür ihren Aufrufen an die Leute, Geduld zu haben und nicht «gewalttätig» zu werden, brav im Einklang mit der Regimepropaganda. Bei der OAS-Mission unter der Leitung des ultraneoliberalen Ex-Präsidenten Quiroga, der seit Jahren keine Wahl in Lateinamerika auslässt, wenn es nur eine genügend reaktionäre Fraktion zu unterstützen gibt, ist dies kein Wunder. Die EU-Mission wird von der Europarlamentarierin Marisa Matias vom portugiesischen Linksblock geleitet. Man hätte von ihr vielleicht ein wenig mehr als eine tadelnde Bitte an das Wahlgericht TSE vor ein paar Tagen, doch mal ein wenig zügiger Zwischenresultate zu veröffentlichen, erwarten dürfen. Doch anscheinend findet auch sie nicht fein, dass nach der Wahl 2013 der EU-Beobachter Leo Gabriel von massivem Betrug gesprochen hat, trotz internem Sprechverbot.
In einem Interview mit Juan Barahona, neu gewählter Parlamentarier für die linkszentristische Partei Libre und Koordinator der Volkswiderstandsfront FNRP, meinte der Interviewer, es sei schon eigenartig, dass die Wahlakten nicht nur an die erwähnten Parteien und Beobachtergruppen, sondern auch an die US-Botschaft in der honduranischen  Hauptstadt geschickt worden waren. Juan Barahona dazu: «Ich verstehe, warum diese Akten zur US-Botschaft gehen, denn wir sind ein vom nordamerikanischen Imperium abhängiges Land. Man schuldet ihnen Rechenschaft. Das ist so, wenn man unterdrückt ist, leider.»
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PS: Die Allianz-Verantwortlichen verweisen darauf, dass auch die offiziellen Resultate der Gemeinde- und Parlamentswahlen angefochten werden müssen. Doch derzeit konzentrieren sie sich auf die Präsidentschaftswahl. Angesichts der drastischen Verschärfung der Lage dürfte dies Wunschdenken bleiben.