Puerto Rico: „Etwas sehen, das einem Völkermord gleichkommt“

Donnerstag, 5. Oktober 2017



(zas, 5.10.17) Donald Trump widmete den Menschen auf Puerto Rico dieser Tage nicht nur eine Siegestrophäe eines Sportanlasses, sondern warf ihnen anlässlich seiner Stippvisite letzten Dienstag Klopapier als Geschenk zu. 
Einer in der "Tiermanege". Das entsetzliche Video auf https://www.telesurtv.net/news/Trump-lanza-papel-higienico-a-damnificados-en-Puerto-Rico--20171004-0010.html
Sein Besuch fand zwei Wochen nach den enormen Zerstörungen des Wirbelsturms Maria auf der Insel statt. Zuvor war ihm zur extrem dramatischen Lage auf der Insel nur eingefallen, was für einen great job er und seine Leute dort erledigten. Davon bekamen die Leute auf Puerto Rico nichts mit. Schon vor dem Sturm waren 5000 National Guards dort stationiert, danach hat das Weisse Haus nochmals tausende dorthin geschickt, wie die Washington Post berichtet. Allein sie konnten angeblich die im Hafen lagernden Hilfsgüter wegen der zerstörten Transportinfrastruktur nicht an die Sturmopfer liefern. Auf US-Pages wie Democracy Now und counterpunch.org  tauchen dafür vermehrt Berichte auf, wie die Leute sich selber organisieren und Nothilfe leisten – in einer tatsächlich katastrophalen Lage. Während also die US-Militärs nicht fähig waren, Hilfe zu bringen, leisten sie anderes: „So wie Militäruniformen zuzunehmen und wegen dieses Notstands sichtbarer werden, beginnt ein beunruhigendes Bild des puerto-ricanischen Volkes aufzutauchen. Hilfsanstrengungen für eine von der Bundesregierung als ersetzbar angesehene Bevölkerung werden aufgeschoben (…) Die Situation zwingt die Menschen von Puerto Rico auf die Knie, ausgeliefert der zwiespältigen US-Hilfe, während andere humanitäre Hilfe abgeblockt wird (…) Das Leben von Tausenden, die man immer noch nicht erreichen konnte, wird in Gefahr gebracht. Das Endziel dieser Bundeshilfe ist unbekannt. Ihre wachsende Militarisierung (…) ist beunruhigend“ (aus der Erklärung zahlreicher Intellektueller in Puerto Rico und den USA The Cruelest Storm: A Statement for Puerto Rico).
Die Aktivistin und Anwältin Xiomara Caro Díaz vom Centro de Democracia Popular in Puerto Rico berichtete vor drei Tagen in Democracy Now: „Was die Militärs im Moment tun, ist Puerto Rico besetzen. Sie erschweren die Hilfe vor Ort. Wir haben sogar die Geschichte von einem Compañero in Utuado gehört, der nach San Juan kam und uns berichtete, wie BürgerInnenbrigaden halfen, die Strasse zu putzen eine einen Übergang über den Fluss zu bauen. Da kamen Polizei und lokale Armee zu ihm und sagten, Stopp! das sei nicht ihre Rolle. Jetzt hat die Armee in Puerto Rico also ein Rolle der Gewalt und nicht der Erleichterung inne.“  Falls die Armee nach einem Trump-Besuch dann plötzlich Essen verteile, entspräche dies einem PR-Manöver.  
Puerto Rico war trotz der enormen Sturmschäden absolut sekundär für die US-Regierung. Anders als etwa die kurz zuvor wesentlich schwächer von den Wirbelstürmen Harvey und Irma getroffenen Regionen von Houston und Miami. (Die Insel-Puerto-RicanerInnen haben kein Recht der Beteiligung an US-Wahlen.) Am 26. September verschickte Trump drei Tweets (1, 2, 3): „Texas & Florida gedeihen bestens, aber Puerto Rico, das schon unter einer kaputten Infrastruktur & massiven Schuld litt, ist in grossen Schwierigkeiten … Ein Grossteil der Insel wurde zerstört, mit Milliarden von Dollars, der Wall Street und den Banken geschuldet, um die man sich traurigerweise kümmern muss. Nahrung, Wasser und Medizinisches sind Topprioritäten – und gestalten sich gut“.
Ins gleich Horn stiess am 28. September auch die amtierende Department of Homeland Security-Chefin Elaine Duke:  Die US-„Hilfe“ „ist wirklich eine good-news story, was unsere Kapazität, die Leute zu erreichen, betrifft“ (s. CNN).
CNN schaltete darauf Carmen Yulín Cruz, die Bürgermeisterin der puerto-ricanischen Hauptstadt San Juan, zu. Ihre Antwort: „Verdammt, das ist keine good-news story, das ist eine Sterbens-Story, eine Story von Leben oder Tod.“ In einer aufwühlenden Erklärung vor TV-Kameras vom 29. September (Video s. den oben zitierten Post-Artikel) doppelte sie nach: „We are dying here“. Eine Botschaft, die sie wiederholte. Der US-Katastrophenbehörde FEMA habe sie ganze Ordner von Unterlagen übermittelt, doch FEMA habe noch an diesem Morgen das Toupé gehabt, sie zu fragen: „Was sind Ihre Prioritäten, Bürgermeisterin?“ Zu dieser Art „Hilfe“ meinte Cruz: „Ihr bringt uns mit Ineffizienz und Bürokratie um.“ Und: „Wenn wir die Nahrungsmittel und das Wasser nicht zu den Leuten bringen können, werden wir etwas sehen, das einem Völkermord gleichkommt.“ Die Frau sagte auch: „Wir sind eine einzige Nation. Wir mögen klein sein, aber gross in der Würde.“  In ihrem Rufen nach Hilfe meinte sie, Leben zu retten sei ein Grundprinzip der „United States of North America“. Die Welt könne sehen, „wie wir nicht als Zweitklass-BürgerInnen behandelt werden, sondern als Tiere, die weggeworfen werden können. Genug ist genug!“
Bürgermeisterin Yulin Cruz und ein Sturmopfer. Quelle: Washington Post.

Der Bürgermeisterin, die sich nach Berichten aus Puerto Rico täglich für die unmittelbaren Belange der EinwohnerInnen von San Juan einsetzt, attestierte Trump postwendend per Twitter „schlechte Führungsqualitäten“. Sie sei wie „andere in Puerto Rico unfähig, ihre Arbeiter zum Helfen zu bewegen. Sie wollen, dass alles für sie getan werde, wo dies ein Community-Effort sein sollte“ (1,2).
Und dann die erbärmliche, verletzende Show mit dem Schmeissen von Toilettenpapier unter die Anwesenden. Natürlich wäre sowas einem Obama oder einem Clinton nicht „passiert“. Doch Rassismus und Häme gegenüber Unterklassen und von Unglück Getroffenen ist Bestandteil der US-Politik gegen Puerto Rico. Im letzten Correos haben wir zwei Artikel dazu gebracht, ein Interview mit dem nach 35 Jahren Knast frei gekommenen Unabhängigkeitskämpfer Oscar López Rivera und einen Hintergrundartikel über die Geschichte kolonialer Gewalt, auch der aktuellen finanztechnischen, zwecks Entvölkerung der Insel. Remember: „… werden wir etwas sehen, das einem Völkermord gleichkommt.“ Für eine Einschätzung der katastrophenkapitalistischen Vernutzung der Sturmschäden in Puerto Rico (und wohl auch anderswo) ist es bei unserem aktuellen Infostand noch zu früh. Nicht aber für die Einsicht, dass dieser Angriff läuft.