Kolumbien: Mordrunde gegen die Marcha Patriótica

Donnerstag, 10. Juli 2014



(zas, 10.7.14) Die vom rechtsradikalen Prokurator Ordoñez ihres Amtes enthobene Ex-Senatorin Piedad Córdoba, bekannt von ihrem Engagement für die Freilassung von Gefangenen in der Gewalt der Guerillagruppe FARC, wird auf dem Online-Portal der kolumbianischen Zeitung Semana mit einer beunruhigenden Erklärung zitiert („Hay una persecución feroz contra la Marcha Patriótica“, 9.7.14). Wie andere Quellen nennt sie die Zahl von über 60 ermordeten Mitgliedern des linken Sozial- und Politbündnisses Marcha Patriótica in den letzten beiden Jahren.
Der Prokurator hatte Córdoba wegen ihres Einsatzes für eine Friedenslösung im jahrzehntelangen Aufstandsbekämpfungskrieg ihres Amtes enthoben. Die linken Sympathien waren ihr gewiss. Die Frau wurde Mitglied der Führung der neu gegründeten Marcha, die vom Regime als faktischer FARC-Aushang bezeichnet wurde. Das Bündnis war eine der wichtigen Kräfte in den beiden Agrarstreiks vom letzten und diesem Jahr. Beim Agrarstreik Anfang dieses Jahres fiel Córdoba eigenartig auf, als sie, die breite Repression gegen die Marcha anführend, deren Auflösung als „antirepressive Notbremse“ empfahl. Vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vom letzten Mai rief sie zur Stimmabgabe für den alten und neuen Präsidenten Juan Manuel Santos als Mittel zur Friedenssicherung auf und fiel damit dem linken Parteibündnis Polo Democrático/ Unión Patriótica in den Rücken, das ein eigenes KandidatInnenduo präsentierte und nicht schlechte 15 Prozent machte. Für die 2. Runde zwischen Santos, der sich als Friedensgarant darstellte, und Óscar Zuluaga, dem Kandidaten des früheren Präsidenten und offenen Kriegstreibers Álvaro Uribe, veröffentlichte die Marcha-Leitung eine Stellungsnahme, die praktisch die Stimmabgabe für Santos empfahl, im Einklang mit dem Bündnis Polo/UP. Allerdings waren wichtige und starke Mitgliedsorganisationen der Marcha mit dieser Position nicht einverstanden und empfahlen, leer einzulegen, solange Santos sich nicht formell auf einige programmatische Inhalte verpflichtet habe.

Semana schreibt: „Laut Piedad ist es besorgniserregend, dass sie sich letzten Januar mit der Regierung traf, um ihr die Liste von 29 ermordeten und drei verschwundenen Mitgliedern der Marcha zu überreichen. Es kam damals zu einer Verpflichtung der Regierung, die Mitglieder der Bewegung zu schützen, aber in weniger als einem halben Jahr kam es zu einer völlig anderen Entwicklung. Denn in weniger als sechs Monaten sei es, so die Anschuldigung, zu mindestens 30 Morden gekommen … Den Unterlagen der Bewegung zufolge wurden die meisten Kader nach den Streiks und Mobilisierungen seit letztem Jahr ermordet“.

Quelle: Notimundo, 27.3.13
Córdoba betont, sie und andere Führungsmitglieder der Marcha hätten im Januar von Santos bloss „verlangt, dass man uns in diesem Land politisch aktiv sein lässt“ und dass mit der Behauptung, das Bündnis sei eine Tarnorganisation der FARC, aufgehört werde. Dies, so zitiert Semana Córdoba weiter, „wurde nicht eingehalten. Wir wählten zugunsten des Friedensprozesses, aber nach den Wahlen hat sich die Verfolgung via massive und willkürliche Verhaftungen verschärft. Wir konstatieren, dass, die zweite Runde einmal vorbei, es so ist, als ob wir gesagt hätten: ‚Hier sind wir, verfolgt uns!’ Was wir real gemacht haben, ist uns ins Schaufenster zu stellen.“

Auf die Frage nach den Autoren der Morde und Drohungen, so Semana, sagte die Ex-Senatorin, „dass sie besorgt konstatiere, wie die Bombardierungen der Staatsmacht in Departementen wie Meta, Putumayo, Caquetá und der Zone von Catatumbo in Norte de Santander zugenommen haben: ‚Wir wissen nicht, was vor sich geht, wie die Befehle, die gegeben werden, lauten’“. In den letzten Tagen habe auch die Beschattung der Leitungsmitglieder der Marcha besorgniserregend zugenommen, meinte Córdoba. Nochmals Semana: „Piedad versichert, dass die Situation von Marcha Patriótica den Friedensprozess, den die Regierung mit der FARC-Guerilla führt, gefährdet“.

Córdoba ist keine Linksradikale. Was sie jetzt anprangert, scheint zwei Befürchtungen mancher kolumbianischer Linker zu bestätigen. Dass erstens die Linke sich vom Santos-Lager wahltaktisch vorführen liess, ohne als Gegenleistung konkrete Verpflichtungen zu erhalten, und ihre Strukturen dabei für die Gegenseite sehr offen gelegt hat, und dass zweitens die Wiederwahl von Santos keineswegs eine Garantie für einen anderen „Friedensschluss“ als eine nach dem Diktat des Regimes zu erfolgende bedingungslose Entwaffnung der Guerilla darstelle. Es ist bemerkenswert, dass es dem Regime gelungen ist, a) die parteipolitische und teilweise die Volkslinke hinter dem Oligarchen Santos zu einen, während dieser mit seiner Verhandlungsstrategie – ein Dialog in Habana mit der FARC und ein weiterer, erst noch zu formalisierender, mit dem ELN in Ecuador – auf die klare Schwächung der Verhandlungsmacht der Guerillas setzt.

(PS: Natürlich wird die Steigerung der Morde an Mitgliedern der Marcha dem Lobgesang auf die „neue kolumbianische Demokratie“ in den hiesigen Medien oder im DEZA-Heftchen (s. DEZA-Mainstream in Kolumbien) keinen Abbruch tun.)