DEZA-Mainstream in Kolumbien

Freitag, 28. Februar 2014




(zas, 28.2.14) Die staatliche Schweizer Entwicklungsagentur DEZA widmet sich in der aktuellen März-Nummerihres Magazins den sogenannten Milleniumszielen (Reduktion der Armut etc.). Generell verbreiten westliche Entwicklungsagenturen unter Anleitung der Weltbank Freudenbotschaften über die jährlich erzielten Verbesserungen auf diesem Gebiet. Pure Propaganda mit dem Ziel, die verheerenden Konsequenzen des transnationalen Wirtschaftsterrors schön zu malen. Wie die Weltbank Zahlen manipuliert und worauf die gängigen Armutsberechnungen gründen, haben wir in Correos 155 von November 2008 dargelegt, abrufbar hier.

Die DEZA ist konsequent. Im Zuge der angesagten "Armutsreduktions"-Feier darf nun in ihrem Magazin Sandro Benini vom Tages-Anzeiger einen Jubel-Artikel zur Armutsreduktion in Kolumbien platzieren. Gekonnt führt uns Benini atmosphärisch ins Thema ein. Wir dürfen bei einem Gespräch mit dem Paar Emilio und Luisa Navarrete aus der "neuen Mittelklasse" von Bogotá zu Tisch sitzen, im Centro Comercial Andino, in dem das Leben so richtig pulsiert, wie uns der Autor vermittelt, "symbolisch … für den Aufstieg der kolumbianischen Mittelschicht während der letzten zehn Jahre". Emilio sagt ihm: "Schauen Sie sich hier um, wir könnten irgendwo sein, in Europa, in den USA. Nichts an diesem Einkaufszentrum ist typisch kolumbianisch." Da lacht das Herz.
Centro comercial Andino
 2 Mio. Familien seien in den letzten 10 Jahren der Armut in die Mittelschicht hinein entflohen, verkündet Benini. Es boomt im Land, die Armut ist auf dem Rückzug. Und woher die Bonanza? Benini hat einen Hinweis: "Laut dem von der Weltbank erstellten Doing-Business-Index, der Geschäftsklima und Sicherheit von Eigentumsrechten misst, liegt das Land 2013 innerhalb Lateinamerikas auf Rang zwei hinter Peru." Und wie das, fragen wir erneut? Ei doch weil die FARC nicht mehr so stark sind wie früher! Die haben nämlich Krieg gegen die Mittelschichten geführt, getarnt als Krieg gegen die Oligarchie. Dies steckte ihm die interviewte Luisa am Tisch in der Shopping Mall. Sie nämlich hat "gemerkt: Materieller Wohlstand macht das Leben nur schöner, wenn man ihn auch wirklich geniessen kann." Eben. Und der frühere Präsident Álvaro Uribe hat mit den FARC aufgeräumt: '"Uribe war ein Glücksfall für ganz Kolumbien', sagt Luisa Sol Navarrete, 'besonders aber für uns aus der Mittelschicht.'" Benini weiss: "Während seiner Präsidentschaft sank die Zahl der Entführungen um 90 Prozent, wofür ihm ein grosser Teil der Bevölkerung bis heute dankbar ist. Daran ändern auch seine mutmasslichen Verbindungen zu den rechtsextremen Paramilitärs nichts, nichts, genauso wenig wie zahlreiche Korruptionsfälle und von der Armee verübte Übergriffe auf Unschuldige – Skandale, in die häufig selbst engste Vertraute des Präsidenten verwickelt waren, und die Uribe dennoch stets leugnete oder verharmloste." Kritisch ist er, der DEZA-Vertrauensmann! Er erwähnt nämlich ein paar Tolggen im Reinheft.
 
Frauen trauern um ihre 2005 ermordeten Angehörigen, Minenarbeiter, im Departement Choco. Quelle: Semana.

Glücksfälle in Zahlen
Schauen wir uns ein paar dieser "Übergriffe" bzw. "Glücksfälle" an. Am 8. Februar 2014 veröffentlichte das Establishmentblatt Semana Zahlen zu den Opfern des Krieges in Kolumbien, Zahlen, die die amtliche Stelle Unidad de Víctimas für die Zeitspanne von 1985 bis 2013 lieferte: 5.368 Millionen Vertriebene (spezialisierte NGOs setzen die Zahl bei 6 Millionen an), gewaltsam zum Verschwinden Gebrachte: 93'165, Ermordete: 636'184.

Von 2002 bis 2010 war der "Glücksfall", dem "ein grosser Teil der Bevölkerung dankbar ist", wie Benini schreibt, Präsident des Landes. Werfen wir einen Blick auf die von Semana veröffentlichte, amtliche Jahresstatistik der Kriegsopfer. Ab 2006 war mit Juan Manuel Santos jener Mann Verteidigungsminister, der heute Präsident ist.
Amtliche Statistik der Kriegsopfer. Quelle: Semana

Trost von Human Rights Watch
Wie gesagt, die DEZA ist konsequent. Nach Bellinis Preisgesang auf einen Massenmörder, darf sich auch der  DEZA-Koordinator für Humanitäre Hilfe in Bogotá, Martin Jaggi, zu Wort melden. Er weiss Interessantes: Wir wollen … mit unserer neuen Kooperationsstrategie 2014-2016 weiterhin Akzente gegen das Leiden von Gewaltopfern setzen, und gleichzeitig vermehrt die Behörden in den Regionen darin unterstützen, das Angebot von staatlichen Dienstleistungen zu verbessern.“ Klingt das nicht gut? Die Schweiz hängt sich hier der EU an, die den US-Kriegsplan Kolumbien damit unterstützt, dass sie in aufständischen, aber von der Armee terrorisierten Zonen das Vertrauen in die Behörden stärken will…

"Letzte Woche besuchte ich eine Informationsveranstaltung von Human Rights Watch über die Auswirkungen des neuen Gesetzes, das die Landrückgabe an intern Vertriebene regelt. Ein wichtiges Gesetz, dessen Umsetzung aber sehr schwierig ist, da sich die Leute aus Angst oft nicht trauen, ihre Rechte einzufordern. Für mich war es wichtig zu erfahren, dass eine internationale Menschenrechtsorganisation den Landrückgabeprozess nach wie vor als historische Chance für Kolumbien sieht. Mein Fazit nach der Veranstaltung: Indem wir die für die Landrückgabe zuständige Institution unterstützen, leisten wir einen kleinen, aber relevanten Beitrag an die künftige Entwicklung Kolumbiens."

Landübergabe an die Multis
Ist der Mann einfach naiv? Ausser den Mainstreamjournis und der DEZA wissen alle, was es mit diesem famosen Gesetz der angeblichen Landrückgabe an Vertriebene auf sich hat. Die oft beweihräucherte Landrückgabe-Aktion der Regierung Santos gründet in folgendem Problem: Die eben rund 6 Millionen, fast ausschliesslich von den Streitkräften und ihren paramilitärischen Verbänden Vertriebenen haben dummerweise oft gültige Rechtstitel auf ihr Land. Die in- und ausländischen Grossinvestoren, die für ihre – reale – gigantische Landübernahme im Rahmen der monokulturellen Riesenprojekte der Regierung Santos bereitstehen, wünschen Rechtssicherheit beim Kauf oder der Pacht der riesigen ins Auge gefassten Territorien. Mit einer Politik der Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft und der zuschnappenden Schuldenfalle, notfalls von paramilitärischen Strukturen unterstützt, sollen die Campesinas und Campesinos zum "freiwilligen" Verkauf ihres Landes an die grossen Kapitalgruppen gezwungen werden. Dies ist die eine Seite. Die andere ist, dass ein Teil der Paramilitärs oder der von ihnen unterstützten Grossgrundbesitzer selber im Agrosprit-Business einsteigen will, ohne "Zwischenstufe" der eigentlichen LandeignerInnen. Beide Phänomene haben schon letzten August nach Angaben der nun wirklich keiner progressiven Regung verdächtigen Zeitung El Tiempo zu über 50 Morden an BäuerInnen geführt, die sich sowohl Terror wie Vernutzung widersetzt haben. Wollte die DEZA wirklich etwas für die BäuerInnen machen, müsste sie die Forderungen des grossen, monatelangen und mit 19 Toten und der Militarisierung Bogotas bezahlten Zyklus der Landkämpfe des letzten Jahres unterstützen. Nicht das Gegenprojekt aus der Küche der Weltbank, der Nahrungsmultis und der Massakerregierung.

Zum geradezu rührenden Rekurs des DEZA-Mannes auf Human Rights Watch, die ihn in seiner Arbeit so bestärkt: HRW ist, gerade auch was Kolumbien und Venezuela angeht, als Verlängerung des State Departments anzusehen. Das ist keine Übertreibung. In Correos 166 von Dezember 2013 haben wir zur NATO-Connection von HRW und zu ihrer Verlogenheit in Kolumbien den Artikel "Human Rights Watch – den Multis zu Diensten" des US-Menschenrechtsverteidigers David Kovalik publiziert.

Wasser privatisieren, values teilen
Speiübel wird es bei der von der DEZA präsentierten Kurzinformation zu ihrer "Kooperationsstrategie 2014-2016" in Kolumbien, wenn wir da lesen müssen: "Mit dem Projekt «SuizAgua» werden zudem im Bereich nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft innovative Methoden entwickelt, die zur Entwicklung von globalen Wassermanagement- Normen beitragen sollen." Dabei geht es um die vom brasilianischen Wasserrechtsaktivisten Franklin Frederick zum Beispiel in Correos 171 (September 2012) und 173 (April 2013) beleuchtete millionenschwere Komplizenschaft der DEZA mit Nestlé, aber auch Multis wie Coca und Pepsi Cola und der Weltbank im Rahmen vor allem der Water Ressources Group mit dem Ziel einer "innovativen" Wasserprivatisierung. Kein Wunder übrigens, dass Nestlé ihre Shared Value-Konferenz im Oktober letzten Jahres in Kolumbien zum Thema Ernährung und Wasserbewirtschaftung in Lateinamerika abgehalten hat. Man weiss in Vevey um die Glücksfälle. (Zur Shared-Values-Politik des Unternehmens s. Franklin Frederick in Correos 171).

Das erklärt die DEZA-Begeisterung für die Entwicklung in Kolumbien. Der Schweizer Freihandelsvertrag mit dem Massakerland, die Interessen von Nestlé, Novartis (Biodiversität) u. a. lassen uns die wärmenden Worte für "Glücksfälle" begreifen. Bezirzende Worte, aus dem Mund eines Subjekts, das noch bei jedem von der CIA instrumentalisierten bewaffneten Angriff eines paramilitärischen Kommandos in Venezuela den Aufstand von "Hungernden" sieht (ausgerechnet in Venezuela, wo die Unterklassen heute viel mehr als früher essen). Eines Schreibers, der die vielen geheimen Massenfriedhöfe im Land im Air Conditioning des Centro Comercial und in einem Nebensatz auflöst. Das scheint ihn DEZA-kompatibel zu machen.

Er ist nicht allein. Pawlow ist medial allgegenwärtig. NZZ-Reaktionskoordinatorin Nicoletta Wagner, ganz früher mal leicht von Solidarität angesäuselt, fällt in letzter Zeit damit auf, dass sie gut aufschreibt. Zumindest, wenn die kolumbianischen Gorillas sprechen, die ja jetzt, unter der Schirmherrschaft des feinen Oligarchen Santos, Teil des Edlen geworden sind. Ihre Propaganda-Nachplappereien vom nahenden Ende der brutalen FARC sind direkt peinlich. Sie tönen alle gleich, their masters' voices, vom Simpel (Experten) in RFS über den Rüppel im Tagi zur feinen Tante an der Falkenstrasse.